O’Laughlins last order
Der Gitarrist bedankte sich mit einem Lächeln für den Applaus und nickte seinem Mitspieler zu. Dann stand er auf und bahnte sich einen Weg durch die Zuhörer zur Theke.
»Mal wieder prima Stimmung bei dir, Art.«
»Ihr seid ja auch prima in Form«, sagte der alte Wirt fröhlich und schob dem Musiker ein Glas Cola zu. «Schön, daß ihr zwei mal wieder den Weg hierher gefunden habt.«
»Aber irgend etwas fehlt.«
»Es wird immer etwas fehlen, Sam, solange die Zeiten sich ändern.«
Der Gitarrist lächelte fein. »Das meine ich nicht«, sagte er. »Ich meine, für einen Sonnabend bei dir, da fehlt noch etwas. Oder kommt sie nicht mehr?«
»Ach so!« Art lachte. «Du hast sie nicht vergessen, nein?«
»Wie könnte ich.«
Art sah auf seine Uhr. «Sie nimmt es genau mit der last order.«
»Ta cuid den tsaoghal agus is cuma leó ach iad héin a bheith ar bruach«, murmelte der Gitarrist, nahm sein Glas und kehrte durch ein Spalier von Worten der Anerkennung und zugerufenen Wunschtiteln zu seinem Platz zurück.
*
»Was hat er gesagt?« fragte der junge Mann, der, als er vor sechs Monaten seinen Stolz entdeckt hatte, ein Kelte zu sein, sein Studium der Jurisprudenz in Phoenix, Arizona, hatte sausen lassen und seither sein keltisches Leben mit Torfstechen und anderen Gelegenheitsjobs finanzierte.
Art lächelte: »ist Teil von-der Welt und ist gleich mit ihnen außer sie selbst zu sein auf Ufer.«
»Wie bitte?«
»Es gibt Leute, denen alles gleich ist, solange es ihnen nur gut geht.«
»Ich verstehe nicht«, sagte der junge Kelte. Bei nächster Gelegenheit müßte er unbedingt einen der Irisch-Kurse in Galway belegen, von denen er gehört hatte.
Art sah dem Gitarristen hinterher. Bestellungen wurden ihm zugerufen. Er nickte. »Die Geschichte ist mindestens so alt wie die Jeans von Sam«, sagte er, während er mehrmals bestätigend in die eine und die andere Richtung nickte und alsdann den Zapfhahn betätigte. »Wenn sie dich interessiert, wendest du dich am besten an Cal.«
Er stellte zwei gefüllte Gläser vor einem Gast ab, strich die Münzen scheinbar achtlos ein und warf sie auf die Anrichte hinter sich. »Kennst du Cal?«
Der Kelte schüttelt seinen Kopf.
»Da hinten sitzt er. Geh nur hin und frag ihn nach Rory O’Loughlin. Keiner erzählt die Geschichte so wie er.«
»Da ist was Wahres dran«, dröhnte ein in zweiter Reihe auf seine Bestellung wartender Hüne und nickte dem Kelten augenzwinkernd zu. »Sie wird jedesmal besser. Muß mit Cals Haaren zusammenhängen. Immer wenn ihm eins ausfällt, nimmt er es und strickt noch etwas an die Geschichte dran.«
»Aber wie es ausschaut, wird sie Gott sei Lob bald vollendet sein«, sagte Art und hob seinen Kopf in Richtung des Hünen. »Wie immer, Seamus?«
Der Hüne hob bejahend seine buschigen Augenbrauen. »Wie optimistisch du bist, Art. Wenn er oben keine mehr findet, zupft er sich eben die auf der Brust aus.«
Dem Kelten gelang ein verlegenes Lächeln.
*
»Well, das ist eine Geschichte, die ist mindestens so lang wie die über den Seehund«, sagte der alte Mann und zeigte auf den Platz neben sich.
Der Kelte setzte sich, und der Alte begann bedächtig, seine Pfeife zu stopfen. »Du kommst nicht von hier, nehme ich an.« Und als ein Kopfschütteln ihm bestätigte, was er längst wußte: »Nun, in diesem Fall kennst du auch kaum die Geschichten über den Seehund.«
Wiederum war ein Kopfschütteln die Antwort. »Dann sei dir hiermit versichert, daß diese Geschichten über den Seehund hübsch lange Geschichten sind.«
Der Kelte schmunzelte. Dad würde jetzt sagen: Komm endlich zu deiner mission, Mann.
»Du läßt dich von gar nichts abschrecken, nein? In diesem Fall lohnt sich anzufangen.« Der Alte unterbrach das Stopfen und klopfte an die Manteltasche des Kelten. »Da ist auch kein so’n neumodischer Recorder drin, nein?«
»Ein Recorder? Nein. Wieso?«
»Weil dir sonst der Teufel beide Beine brechen soll.« Richtig fuchtig klang der Alte plötzlich. Und seine Stimme schwoll dermaßen an, daß einige Gäste sich trotz des Oilean-Solos in der hinteren Ecke des Pubs neugierig umdrehten. »Weil ich sie nicht ausstehen kann, diese kleinen, langhaarigen Affen, die sich verkleidet als Iren hier reinglucken mit so einem Ding auf ihren Knien, um, wie nennen sie es? etwas Authentisches zu haben, wenn sie zurück sind in ihrem Deutschland oder weiß der Himmel, von wo ein ungünstiger Wind sie hergetrieben hat. Dabei«, der Alte reckte sein Kinn vor und verzog nacheinander in Richtung jedes einzelnen Umstehenden, der ihn anstarrte, sein Gesicht, so daß die Gaffer, ohne sich freilich zu erkennen, in ihr eigenes Spiegelbild gafften, tippte sich an die Stirn und begann den Satz von vorn: »Dabei sind sie nur zu dumm oder zu faul, sich das, was sie hier sehen und hören und von dem sie ach so begeistert sind, zu merken, es sich hier und hier«, er klopfte sich an Herz und Schädel, »zu bewahren und daheim, wenn es ihnen doch so gefallen hat, mit eigenen Worten weiterzuerzählen.«
»So, und nun könnt ihr euch wieder umdrehen«, spottete er nach kurzer Pause und schleuderte zweimal seine Finger aus dem Handgelenk heraus in Richtung der ihn bedröppelt besichtigenden, teils sich dümmlich grinsend verbrüdernde Blicke des Einverständnisses zuzwinkernden Gaffer. »Calvagh O’Seanacháin, Professor für vorsintflutliche Fischfangmethoden und Philosophie, hat seine Vorlesung über ausgestorbene zivilisatorische Grundwerte beendet.«
Den Kopf senkend, lehnte er sich zurück und entzündete ein Streichholz.
Der Kelte hatte kein Auge von ihm gelassen. Ohne daß der Alte ihm den Kopf zuwandte, hörte er ihn sagen: »Wenn du mich nicht mehr anstarren würdest wie ein prähistorisches Fossil, könnte ich anfangen.«
»Entschuldigung.« Der Kelte lachte verlegen und stülpte seine Manteltaschen nach außen. »Und so ein künstliches Gedächtnis hab’ ich auch nicht bei mir.«
Der Blick des Alten wanderte langsam aus dem Pfeifenkopf zu den ihm entgegengehaltenen umgewendeten Taschen, und der Kelte deutete das leichte, fast unmerkliche Zucken des ihm zugewandten Mundwinkels vermutlich zutreffenderweise als ein Anzeichen ebenso leichter Belustigung. »Tja«, sagte Cal, »dann fang ich am besten von vorne an.«
*